Die jüngste Umfrage vom ARD-DeutschlandTrend bescheinigt der Regierung einen guten Job in der Corona-Krise. 93% der Teilnehmer*innen befürworten die Kontakteinschränkungen. Söder und Laschet profilieren sich um die Wette und wittern die Fährte, die sie 2021 ins Kanzleramt führen soll. In der Krise rücken Menschen zusammen und ziehen an einem Strang. Das, was von oben vorgegeben wurde, wird bisher weitestgehend und ohne großes Murren umgesetzt.

Dennoch wird in den letzten Tagen die Frage lauter, ob die restriktiven Maßnahmen wirklich nötig sind. Diese Frage stelle ich mir nicht. Vielmehr möchte ich der Frage nachgehen, ob das alles wirklich nötig gewesen wäre.

Alarmglocken, die keiner hört

Seit Ende Januar müssten eigentlich sämtliche Alarmglocken in der Bundesregierung ununterbrochen läuten, denn die Indizien für eine Pandemie sind in der Retroperspektive unübersehbar: Am 23. Januar wurde die Millionenmetropole Wuhan komplett abgeriegelt. Auch in der Provinz Hubei wurden schrittweise die etwa 60 Millionen Einwohner faktisch unter Zwangsquarantäne gestellt. Zwar war die Informationspolitik der chinesischen Regierung restriktiv und verfälscht, dennoch kursierten in den sozialen Medien Bilder und Videos von sterbenden Menschen, geparkt auf Krankenhausfluren. Am 23. Januar begannen auch die Arbeiten für ein Not-Krankenhaus mit 1000 Betten in Wuhan, das zehn Tage später schon die ersten Patienten aufnehmen sollte.

Bemerkenswert ist, dass am gleichen Tag, nämlich eben diesem 23. Januar, Jens Spahn in den Tagesthemen das Risiko des neuartigen Virus relativierte, einen denkwürdigen Vergleich mit der Grippewelle zog und seinen Beitrag mit den Worten beendete:

„Ich finde es eben auch sehr wichtig, dass wir das eben so einordnen, dass wir dann auch mit der nötigen Ruhe darangehen können.“ (Quelle)

Mit „das“ meinte er das Corona-Virus. Aus der Außenperspektive lässt sich sagen: Ja, es wurde mit Ruhe reagiert. Zu ruhig?

Fasching und Skifahren gehen vor

Es ist Auftrag und auch Kernkompetenz der Regierung und der Behörden, solche Entwicklungen wie die in China Ende Januar aufmerksam zu verfolgen, zu bewerten und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Ein auswärtiges Amt muss Informationen einholen, aufbereiten und weiterleiten. Ein Gesundheitsministerium muss im Zusammenspiel mit anderen Behörden diese Informationen prüfen, einordnen und gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen, um ein drohendes Risiko für die deutsche Bevölkerung abzuwenden oder wenigstens zu minimieren. Tun sie das nicht, haben sie als Behörde versagt.

Was ist als Reaktion auf die Ereignisse in China passiert? Nichts. Erstmal. Menschen sind weiter Ski gefahren, auf Faschingsveranstaltungen gegangen und ins Fußballstadion gepilgert. Gleichzeitig scheint es so, als ob auch hinter den Kulissen nicht sonderlich viel passierte. Wir haben den kompletten Februar und die erste Märzhälfte verloren, indem wir besoffen auf Prunksitzungen, beim Après Ski und im Fußballstadion rumhingen.

Mist, was machen wir? Shutdown

Es kam, wie es kommen musste. Alles Hoffen, und bei den Unions-Parteien auch Beten, hat nichts geholfen. Das Virus kam und es verbreitete sich schnell. So schnell, dass die Verantwortlichen nur noch einen Ausweg sahen: den kollektiven Shutdown.

Es ist das einfachste Mittel gegen das Virus. Es ist schnell einsatzbereit, vergleichsweise einfach umzusetzen und gnadenlos effektiv. Es sollte aber zugleich die absolute Notlösung sein, denn ein Shutdown ist sehr, sehr teuer! Teuer, nicht nur im monetären Sinne, sondern auch im demokratischen. Freiheitsrechte werden massiv eingeschränkt. Zusätzlich führen die negativen wirtschaftlichen Folgen unweigerlich zu einem massiven Lebensqualitäts- und Wohlstandsverlust. Mit einem Shutdown kauft man Zeit, allerdings ist der Preis dafür astronomisch hoch. Dass einer Regierung, die die besten Experten zur Verfügung hat, nichts Besseres einfällt, ist ernüchternd.

Lagerhaltung? Krisenvorsorge? Fehlanzeige! Prävention ist eben nicht sexy und bringt keine Wählerstimmen.

Produktion medizinischer Güter und Schutz von Risikogruppen kam zu spät

Am vergangenen Sonntag, dem 5. April, sagte Olaf Scholz bei Anne Will in Bezug auf Engpässe bei der Schutzausrüstung:

„Wir haben im Augenblick den Eindruck, dass wir das hinbekommen, uns große Mengen zu beschaffen in aller Welt.“ Aber gleichzeitig müsse jetzt dafür gesorgt werden, „dass bestimmte Dinge auch in Deutschland hergestellt werden können“. (Quelle)

Gesagt, getan. Seit Sonntag hat Melitta bereits rund eine Million OP-Masken im Kaffeefilter-Design hergestellt. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Ich frage mich daher: Warum nicht schon früher?

Neben der adäquaten Bereitstellung medizinischer Produkte ist leider auch der Schutz von Risikogruppen im Krisenmanagement der Bundesregierung bisweilen auf der Strecke geblieben. Ich denke hierbei besonders an die vielen Toten in deutschen Altenheimen. Ein frühes und konsequentes Kontaktverbot und eine adäquate Ausstattung der Pfleger*innen mit Schutzausrüstung hätte hier Menschenleben retten können.

Der Verweis auf andere Länder ist falsch

Einige werden jetzt sagen, andere Länder hätten nicht besser reagiert, manche vielleicht noch schlechter. Aber ist das wirklich unser Anspruch? Hier geht es nicht um Vergleiche mit Nachbarn, um „relativ gute“ Entscheidungen. Hier geht es um Menschenleben und Existenzen. Hier muss unser Anspruch sein, bestmöglich zu reagieren und möglichst viele Menschenleben und Existenzen zu schützen.

Die Frage, ob die momentanen Maßnahmen wirklich nötig seien, lässt sich übrigens eindeutig beantworten: Ja, sie sind notwendig, um Risikogruppen zu schützen. Ja, sie sind notwendig, um Menschenleben zu retten. Allerdings bezahlen wir einen hohen Preis dafür. Ob es nötig gewesen wäre, diesen Preis zu bezahlen, bezweifle ich.

Zum Schluss ein Ratschlag von Michael Ryan, Exekutivdirektor der WHO: hier klicken

Dieser Kommentar ist von Fabian Ruthardt. Vielen Dank für Deinen Beitrag auf Ruthi’s Kladde.

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